Prosa-Edda - Gylfaginning Gylfis Täuschung - 43-48

Edda Liederbuch

Gylfaginning Gylfis Täuschung - 43-48

43. Da fragte Gangleri: Was ist von Skidbladnir zu berichten, welches das beste der Schiffe sein soll? Gibt es weder ein ebenso gutes Schiff als dieses, noch ein ebenso großes? Har antwortete: Skidbladnir ist das beste Schiff und das künstlichste; aber Naglfari, das Muspel besitzt, ist das größte. Gewisse Zwerge, Iwaldis Söhne, schufen Skidbladnir und gaben das Schiff dem Freyr: es ist so groß, daß alle Asen mit ihrem Gewaffen und Heergerät an Bord sein können, und sobald die Segel aufgezogen sind, hat es Fahrwind, wohin es auch steuert. Und will man es nicht gebrauchen, die See damit zu befahren, so ist es aus so vielen Stücken mit so großer Kunst gemacht, daß man es wie ein Tuch zusammenfalten und in seiner Tasche tragen kann.

44. Da sprach Gangleri: Ein gutes Schiff ist Skidbladnir und gar große Zauberei mag dazu gehört haben, es so kunstreich zu schaffen. Aber ist es dem Thor auf seinen Fahrten nie begegnet, daß er so Starkes und Mächtiges fand, das ihm an Kraft und Zauberkunst überlegen war? Har antwortete: Wenige, glaube ich, wissen davon zu sagen und große Gefahren hat er doch bestanden; aber wenn es sich je begab, daß etwas so stark oder mächtig war, daß es Thor nicht besiegen konnte, so ist es besser, nicht davon zu reden, denn es gibt viele Beispiele dafür und Gründe genug zu glauben, daß Thor der Mächtigste sei. Da sprach Gangleri: So scheint es ja, als hätte ich euch nach einem Dinge gefragt, worauf niemand antworten könne. Da sprach Jafnhar: Wir haben von Begebenheiten sagen hören, deren Wahrheit uns kaum glaublich dünkt; aber hier sitzt der in der Nähe, welcher getreuen Bericht davon geben mag, und du darfst glauben, daß er jetzt nicht zum erstenmal lügen wird, der nie zuvor gelogen hat. Da sprach Gangleri: Hier will ich stehen und hören, ob ich von diesen Geschichten Bescheid erhalte, denn im anderen Fall erkläre ich euch für überwunden, wenn ihr keine Antwort wißt auf meine Frage. Da sprach Thridi: Offenbar ist es nun, daß er diese Geschichten wissen will, obwohl uns bedünkt, es sei nicht gut davon zu sprechen. Du hast also zu schweigen. Der Anfang dieser Erzählung ist nun, daß Ökuthor ausfuhr mit seinem Wagen und seinen Böcken und mit ihm der Ase, der Loki heißt. Da kamen sie am Abend zu einem Bauern und fanden da Herberge. Zur Nacht nahm Thor seine Böcke und schlachtete sie; darauf wurden sie abgezogen und in den Kessel getragen. Und als sie gesotten waren, setzte sich Thor mit seinem Gefährten zum Nachtmahl. Thor bat auch den Bauern, seine Frau und beide Kinder, mit ihm zu speisen. Des Bauern Sohn hieß Thialfi und die Tochter Röskwa. Da legte Thor die Bocksfelle neben den Herd, und sagte, der Bauer und seine Hausleute möchten die Knochen auf die Felle werfen. Thialfi, des Bauern Sohn, hatte das Schenkelbein des einen Bocks, das schlug er mit seinem Messer entzwei, um zum Mark zu kommen. Thor blieb die Nacht da und am Morgen stand er vor Tag auf, kleidete sich, nahm den Hammer Miölnir und erhob ihn, die Bocksfelle zu weihen. Da standen die Böcke auf; aber dem einen lahmte das Hinterbein. Thor befand es und sagte, der Bauer oder seine Hausgenossen müssten unvorsichtig mit den Knochen des Bocks umgegangen sein, denn er sehe, das eine Schenkelbein wäre zerbrochen. Es braucht nicht weitläufig erzählt zu werden, da es ein jeder begreifen kann, wie der Bauer erschrecken mochte, als er sah, daß da Thor die Brauen über die Augen sinken ließ, und wie wenig er auch von den Augen noch sah, so meinte er doch, vor der Schärfe des Blicks zu Boden zu fallen. Thor faßte den Hammerschaft so hart mit den Fingern an, daß die Knöchel davon weiß wurden. Der Bauer gebärdete sich, wie man denken mag, so, daß alle seine Hausgenossen entsetzlich schrien und alles, was sie hatten, zum Ersatz boten. Als Thor ihren Schrecken sah, ließ er von seinem Zorn, beruhigte sich und nahm ihre Kinder Thialfi und Röskwa zum Vergleich an: die wurden nun Thors Dienstleute und folgen ihm seitdem überall.

45. Er ließ seine Böcke dort zurück und setzte seine Reise ostwärts nach Jötunheim bis an das Meer fort, fuhr dann über die tiefe See und als er die Küste erreichte, stieg er ans Land und mit ihm Loki, Thialfi und Röskwa. Als sie eine Weile gegangen waren, kamen sie an einen großen Wald, durch den gingen sie den ganzen Tag bis es dunkel wurde. Thialfi, aller Männer fußrüstigster, trug Thors Tasche; aber Speisevorrat war nicht leicht zu erlangen. Als es dunkel geworden war, suchten sie ein Nachtlager und fanden eine ziemlich geräumige Hütte. An einem Ende war der Eingang so breit wie die Hütte selbst: die wählten sie zum Nachtaufenthalt. Aber um Mitternacht entstand ein starkes Erdbeben, der Boden zitterte unter ihnen und die Hütte schwankte. Da stand Thor auf und rief seinen Gefährten; sie suchten weiter und fanden in der Mitte der Hütte zur rechten Hand einen Anbau: da gingen sie hinein. Thor setzte sich in die Türe; die anderen hielten sich innerhalb hinter ihm und waren sehr bang. Thor hielt den Hammerschaft in der Hand und gedachte sich zu wehren. Da hörten sie viel Geräusch und Getöse. Und als der Tag anbrach, ging Thor hinaus und sah da einen Mann nicht weit von ihm im Walde liegen, der war nicht klein; er schlief und schnarchte gewaltig. Da glaubte Thor zu verstehen, welchen Lärm er in der Nacht gehört hatte, und umspannte sich mit den Stärkegürteln. Da wuchs ihm die Asenstärke. Währenddessen erwachte der Mann und stand hastig auf. Und da wird gesagt, daß Thor dieses eine Mal nicht gewagt habe, mit dem Hammer nach ihm zu schlagen. Er fragte ihn aber nach seinem Namen und er nannte sich Skrymir. Und nicht brauche ich, sagte er, dich um deinen Namen zu fragen: ich weiß, daß du Asathor bist. Aber wohin hast du meinen Handschuh geschleppt? Da streckte Skrymir den Arm aus und hob seinen Handschuh auf. Nun sah Thor, daß er den in der Nacht zur Herberge gehabt, und der Anbau war der Däumling des Handschuhs gewesen. Skrymir fragte, ob ihn Thor zum Reisegefährten haben wolle, und Thor bejahte es. Da fing Skrymir an, seinen Speisesack zu lösen und gab sich dran, sein Frühstück zu verzehren, und Thor seinerseits tat mit seinen Gefährten ein gleiches. Skrymir schlug vor, ihren Speisevorrat zusammenzulegen und Thor willigte ein. Da knüpfte Skrymir all ihr Essen in einen Bündel und legte ihn auf seinen Rücken. Er ging den Tag über voran und stieg große Schritte; am Abend aber suchte er ihnen Nachtherberge unter einer mächtigen Eiche. Da sprach Skrymir zu Thor, er wolle sich schlafen legen: nehmt ihr das Speisebündel und bereitet euch ein Nachtmahl. Darauf schlief Skrymir ein und schnarchte mächtig und Thor nahm das Speisebündel und wollte es öffnen, und das ist zu berichten, wie unglaublich es dünken möge, daß er keinen Knoten losbrachte: auch nicht einer der zusammengeknüpften Riemen wurde lose. Und als er sah, daß seine Arbeit nicht fruchtete, wurde er zornig, faßte seinen Hammer Miölnir in beide Hände, schritt mit einem Fuß dahin vor, wo Skrymir lag, und schlug ihn auf das Haupt. Und Skrymir erwachte und fragte, ob ihm ein Blatt von dem Baum auf den Kopf gefallen sei? Auch fragte er, ob sie jetzt gegessen hätten und bereit wären, sich zur Ruhe zu begeben? Thor antwortete, sie wollten eben schlafen gehen. Sie gingen unter eine andere Eiche, wagten aber, um die Wahrheit zu sagen, nicht zu schlafen. Aber um Mitternacht hörte Thor den Skrymir im Schlaf so laut schnarchen, daß der Wald widerhallte. Da stand er auf und ging zu ihm, schwang den Hammer astig und heftig und schlug ihn mitten auf den Wirbel, so daß er merkte, wie das Hammerende ihm tief ins Haupt sank. In dem Augenblick erwachte Skrymir und fragte: Was ist mir? Ist mir eine Eichel auf den Kopf gefallen? Oder was ist mir, Thor? Thor trat eilends zurück und antwortete, er sei eben aufgewacht, und fügte hinzu, es sei Mitternacht und also noch Zeit zu schlafen. Da gedachte Thor, wenn er es zuwege brächte, ihm den dritten Schlag zu schlagen, so sollte er ihn niemals wiedersehen. Er legte sich und wartete, bis Skrymir fest eingeschlafen wäre. Und kurz vor Tag hörte er, daß Skrymir eingeschlafen sein müsse. Da stand er auf und ging zu ihm und schwang den Hammer mit aller Kraft und traf ihn auf die Schläfe, welche nach oben gekehlt war, und der Hammer drang ein bis auf den Schaft. Da richtete Skrymir sich auf, strich sich die Wange und sprach: Sitzen Vögel über mir auf dem Baume? Es kam mir vor, da ich erwachte, als fiele mir von den Asten irgend ein Abfall auf den Kopf. Wachst du, Thor? Es wird Zeit sein, aufzustehen und sich anzukleiden, obwohl ihr nun nicht mehr weit habt zu der Burg, die Utgard heißt. Ich hörte, wie ihr untereinander sprächet, daß ich kein kleiner Mann sei von Wuchs; aber dort sollt ihr größere Männer sehen, wenn ihr nach Utgard kommt. Nun will ich euch heilsamen Rat geben: überhebt euch da nicht zu sehr, denn nicht werden Utgardlokis Hofmänner von solchen Burschen stolze Worte dulden; im anderen Fall wendet lieber um: der Entschluß wird euch besser bekommen. Wollt ihr aber doch eure Reise fortsetzen, so haltet euch ostwärts; mein Weg geht nun nordwärts nach diesen Bergen, die ihr jetzt werdet sehen können. Da nahm Skrymir das Speisebündel und warf es auf den Rücken und wandte sich quer hinweg von ihnen in den Wald, und nicht ist gemeldet, daß die Asen gewünscht hätten, ihn gesund wiederzusehen.

46. Thor fuhr nun weiter mit seinen Gefährten und ging fort bis Mittag: da sah er auf einem Felde eine Burg stehen, und mußte den Nacken zurückbiegen, um über sie hinwegzusehen. Sie gingen hinzu, da war an dem Burgtor ein verschlossenes Gitter. Thor ging an das Gitter und konnte es nicht öffnen, und damit sie in die Burg gelangen mochten, zwängten sie sich zwischen den Stäben hindurch und kamen so hinein. Da sahen sie eine große Halle und gingen hinzu. Die Türe war offen, sie gingen hinein und sahen da viele Männer auf zwei Bänken, die meisten sehr groß. Danach kamen sie vor den König Utgardloki und grüßten ihn. Er aber sah säumig nach ihnen, bleckte die Zähne und sprach lächelnd: Selten hört man von langer Reise Wahres berichten; aber verhält es sich anders, denn ich denke: daß dieser kleiner Bursche da Ökuthor sei? Du magst aber wohl mehr sein, als du scheinst. Aber welche Fertigkeiten sind es, deren ihr Gesellen euch dünkt, kundig zu sein? Niemand darf hier unter uns sein, der sich nicht durch irgend eine Kunst oder Geschicklichkeit vor anderen auszeichnete. Da sprach Loki, welcher der hinterste war: Eine Kunst verstehe ich, die ich bereit bin, zu zeigen: Keiner soll hier innen sein, der seine Speise hurtiger aufessen möge als ich. Da versetzte Utgardloki: Das ist wohl eine Kunst, wenn du sie verstehst, und das wollen wir nun versuchen. Da rief er nach den Bänken hin, daß einer, Logi geheißen, auf den Estrich vortrete, sich gegen Loki zu versuchen. Da wurde ein Trog genommen und auf den Boden der Halle gesetzt und mit Fleisch gefüllt: Loki setzte sich an das eine Ende und Logi an das andere, und jeder aß aufs hurtigste, bis sie sich in der Mitte des Trogs begegneten. Da hatte Loki alles Fleisch von den Knochen abgegessen, aber Logi hatte alles Fleisch mitsamt den Knochen verzehrt und den Trog dazu. Alle dachten nun, daß Loki das Spiel verloren habe. Da fragte Utgardloki, auf welche Kunst jener junge Mann sich verstände. Da sagte Thialfi, er wolle versuchen, mit einem jeden um die Wette zu laufen, den Utgardloki dazu ausersehe. Utgardloki sagte, das sei eine gute Kunst; er müsse aber sehr geübt zu sein glauben in der Hurtigkeit, wenn er in dieser Kunst zu siegen hoffe, und der Versuch sollte nun sogleich vor sich gehen. Da stand Utgardloki auf und ging hinaus, wo eine gute Rennbahn auf ebenem Felde war. Utgardloki rief nun einen jungen Burschen herbei, der sich Hugi nannte, und gebot ihm, mit Thialfi um die Wette zu laufen. Da begannen sie den ersten Lauf, und Hugi war so weit voraus, daß er am Ende der Bahn sich umwandte dem Thialfi entgegen. Da sagte Utgardloki: Du mußt dich besser ausstrecken, Thialfi, wenn du das Spiel gewinnen willst; aber doch ist es wahr, daß noch keiner hierher gekommen ist, der mich fußfertiger schien. Sie begannen nun den zweiten Lauf, und als Hugi ans Ende der Bahn kam und sich umwandte, war Thialfi noch einen guten Pfeilschuß zurück. Da sagte Utgardloki: Das dünkt mich gut gelaufen; aber ich glaube nun kaum mehr, daß er das Spiel gewinnen wird; das wird sich nun zeigen, wenn sie den dritten Lauf rennen. Da nahmen sie nochmals ein Ziel und als Hugi ans Ende der Bahn gekommen war und sich umkehrte, war Thialfi noch nicht in die Mitte der Bahn gekommen. Da sagten alle, sie hätten sich in diesem Spiele nun genug versucht. Da fragte Utgardloki den Thor, welche Kunst das sei, worin er sich vor ihnen hervortun wolle, nachdem die Leute von seinen Großtaten so viel Rühmens gemacht hätten. Da antwortete Thor, am liebsten wolle er sich im Trinken messen - mit wem es auch sei. Utgardloki sagte, das möge wohl geschehen. Er ging in die Halle, rief seinen Schenken und befahl ihm, das Horn zu bringen, woraus seine Hofleute zu trinken pflegten. Bald darauf kam der Mundschenk mit dem Horn und gab es dem Thor in die Hand. Da sprach Utgardloki: Aus diesem Horn scheint uns wohl getrunken, wenn es auf einen Trunk leer wird; einige trinken es auf den zweiten aus, aber keiner ist ein so schlechter Trinker, der es nicht in dreien leerte. Thor sah sich das Horn an: es schien ihm nicht zu groß, obwohl ziemlich lang; er war aber auch sehr durstig. Er fing an, zu trinken und schlang gewaltig und glaubte nicht nötig zu haben, öfter abzusetzen und ins Horn zu sehen. Als ihm aber der Atem ausging, setzte er das Horn ab und sah zu, wie viel Trank noch übrig sei. Da schien es ihm ein sehr kleiner Betrag, um den das Horn jetzt leerer sei denn zuvor. Da sprach Utgardloki: Es ist wohl getrunken; aber doch nicht gar viel: ich hätte es nicht geglaubt, wenn mir gesagt worden wäre, daß Asathor nicht besser trinken könne. Ich weiß aber, du wirst es beim zweiten Zug austrinken. Thor antwortete nichts, sondern setzte das Horn an den Mund und dachte nun einen größeren Trunk zu tun, und bemühte sich, zu trinken, so lang ihm der Atem vorhielt, sah aber doch, daß das Ende des Horns nicht so hoch hinauf wollte als er gewünscht hätte. Und als er das Horn vom Munde nahm, schien es ihm, als wenn nun noch weniger abgegangen war als das erste Mal; doch konnte man das Horn nun tragen ohne zu verschütten. Da sprach Utgardloki: Wie nun, Thor? Willst du dich immer sparen, einen Trunk mehr zu tun als dir gut ist? Nun scheint mir, wenn du mit dem dritten Trunk das Horn leeren willst, so muß dieser Zug der größte sein. Du wirst aber hier bei uns kein so großer Mann heißen können als wofür du bei den Asen giltst, wenn du in anderen Spielen nicht mehr leistest, als du mir in diesem zu vermögen scheinst. Da wurde Thor zornig, setzte das Horn an den Mund und trank aus allen Kräften und so lang er trinken mochte und als er ins Horn sah, war doch nun mehr als zuvor ein Abgang bemerklich. Da gab er das Horn zurück und wollte nicht mehr trinken. Da sprach Utgardloki: Es ist nun offenbar, daß deine Macht nicht so groß ist, wie wir dachten. Denn man sieht nun, daß du hierin nichts vermagst. Thor antwortete: Ich will mich noch in anderen Spielen versuchen; aber wunderlich wurde es mich dünken, wenn ich daheim bei den Asen wäre und solche Trünke würden für klein geachtet. Doch welches Spiel wollt ihr mir nun anbieten? Da sprach Utgardloki: Junge Burschen pflegen hier, was wenig zu bedeuten scheint, meine Katze dort von der Erde aufzuheben, und nicht würde ich gedenken, solches dem Asathor zuzumuten, wenn ich nicht zuvor gesehen hätte, daß du viel weniger vermagst, als ich dachte. Alsbald lief eine graue, ziemlich große Katze über den Estrich der Halle, Thor ging hinzu, faßte sie mit der Hand mitten unterm Bauche und lupfte an ihr, und die Katze krümmte den Rücken als Thor an ihr hob, und als Thor sie so hoch emporzog wie er immer vermochte, ließ die Katze mit dem einen Fuß von der Erde: weiter brachte es Thor nicht in diesem Spiel. Da sprach Utgardloki: Es ging mit diesem Spiel wie ich erwartete: die Katze ist ziemlich groß und Thor klein und kurz neben den großen Männern, die hier bei uns sind. Da sprach Thor: So klein ihr mich nennt, so komme nun her, wer da wolle und ringe mit mir: nun bin ich zornig. Da antwortete Utgardloki, indem er nach den Bänken sah, und sprach: Mitnichten sehe ich den Mann hier innen, den es nicht ein Kinderspiel dünken würde, mit dir zu ringen. Aber laßt sehen, fuhr er fort, die alte Frau ruft mir herbei, meine Amme Elli: mit der mag Thor ringen, wenn er will. Sie hat schon Männer niedergeworfen, die mir nicht schwächer schienen als Thor. Alsbald kam eine alte Frau in die Halle: zu der sprach Utgardloki, sie solle sich mit Asathor messen. Wir wollen den Bericht nicht längen; der Kampf lief so ab: je stärker Thor sich anstrengte, je fester stand sie. Nun fing die Frau an, ihm ein Bein zu stellen, Thor wurde mit einem Fuße los und ein harter Kampf folgte; aber nicht lange währte es, so war Thor auf ein Knie gefallen. Da ging Utgardloki hinzu und gebot ihnen, den Kampf einzustellen. Er fugte hinzu: Thor habe nun nicht nötig, noch andere an seinem Hof zum Kampf zu fordern. Es war auch bald Nacht. Da wies Utgardloki den Thor und seine Gefährten zu den Sitzen, und sie brachten da die Nacht bei guter Aufnahme zu.

47. Am Morgen darauf, als es Tag wurde, stand Thor mit seinen Gefährten auf, sie kleideten sich und waren bereit, fortzuziehen. Da kam Utgardloki und ließ ihnen einen Tisch vorsetzen; es fehlte nicht an guter Bewirtung, Speis und Trank. Und als sie gegessen hatten, beeilten sie ihre Fahrt. Utgardloki begleitete sie hinaus bis vor die Burg und beim Abschied sprach er zu Thor und fragte, wie er mit seiner Reise zufrieden sei und ob er einen Mächtigern, denn er selber sei, getroffen habe. Thor antwortete, er könne nicht sagen, daß die Begegnung mit ihnen nicht sehr zu seiner Unehre gereicht habe, "aber wohl weiß ich, daß ihr mich für einen gar unbedeutenden Mann halten werdet, womit ich übel zufrieden bin." Da sprach Utgardloki : Nun will ich dir die Wahrheit sagen, da du wieder aus der Burg gekommen bist, in die du, so lang ich lebe und zu befehlen habe, nicht noch öfter kommen sollst. Und ich weiß auch wahrlich, daß du niemals hinein gekommen wärest, wenn ich vorher gewußt hätte, daß du so große Kraft besäßest, womit du uns beinahe in großes Unglück gebracht hättest. Aber ich habe dir ein Blendwerk vorgemacht, denn das erstemal, als ich dich im Walde fand, war ich es, der mit euch zusammen traf, und als du das Speisebündel lösen solltest, da hatte ich es mit Eisenbändern zugeschnürt, und du fandest nicht, wo du es öffnen solltest. Und danach gabst du mir mit dem Hammer drei Schläge. Der erste war der geringste und war doch so stark, daß er mein Tod geworden wäre, wenn er getroffen hätte. Aber du sahst bei meiner Halle einen Felsstock und sahst oben darin drei viereckige Täler und eines war das tiefste: das waren die Spuren deiner Hammerschläge. Den Felsstock hielt ich vor deine Hiebe; aber du sahst es nicht. So war es auch mit den Spielen, worin ihr euch mit meinen Hofleuten maßet. Das erste war das, worin sich Loki versuchte: er war sehr hungrig und aß stark; aber der, welcher Logi hieß, war das Wildfeuer und verbrannte das Fleisch und den Trog zugleich. Und als Thialfi mit dem um die Wette lief, der Hugi hieß, das war mein Gedanke und nicht war's zu erwarten, daß Thialfi es mit dessen Geschwindigkeit aufnehmen könne. Und als du aus dem Horne trankst und es dir langsam abzunehmen schien, da geschah fürwahr ein Wunder, das ich nicht für möglich gehalten hätte: das andere Ende des Hornes lag außen im Meere, das sahst du nicht; wenn du aber jetzt zum Meere kommst, so wirst du sehen können, welche große Abnahme du hinein getrunken hast: das nennt man nun Ebbe. Ferner sprach er: Das dünkte mich nicht weniger wert, als du die Katze lupftest, und dir die Wahrheit zu sagen, es erschraken alle, die es sahen, als du ihr einen Fuß von der Erde hobst, denn die Katze war nicht, was sie dir schien: es war die Midgardschlange, die um alle Lande liegt, und kaum war sie noch lang genug, daß Schweif und Haupt die Erde berührten, denn so hoch strecktest du den Arm auf, daß nicht weit zum Himmel war. Ein großes Wunder war es auch um den Ringkampf, den du mit Elli rangst, da keiner jemals ward noch werden wird, den nicht, wenn er so alt wird, daß Elli ihn erreicht, das Alter zu Fall brächte. Nun aber ist die Wahrheit, daß wir scheiden sollen, und es wird uns beiderseits besser sein, wenn ihr nicht öfter kommt mich zu besuchen; ich werde aber auch ein andermal meine Burg mit solchen und anderen Täuschungen schirmen, daß ihr keine Gewalt über mich erlangt. Und als Thor diese Rede hörte, griff er nach seinem Hammer und hob ihn in die Luft; als er aber zuschlagen wollte, sah er Utgardloki nirgends mehr. Er wandte sich zurück nach der Burg und gedachte sie zu brechen: da sah er weite und schöne Felder vor sich, aber keine Burg. Da kehrte er um und zog seines Weges bis er wieder nach Thrudwang kam. Und das ist die Wahrheit, daß er sich vorsetzte, zu versuchen, ob er mit der Midgardschlange nicht zusammentreffen möchte, was seitdem geschah. Nun glaube ich, daß dir niemand Genaueres von dieser Fahrt Thors sagen könne.

48. Da sprach Gangleri: Ein gewaltiger Mann muß Utgardloki sein, und viel mit Täuschung und Zauberei vermögen, und seine Gewalt scheint um so größer als er Hofleute hat, die große Macht besitzen. Aber hat Thor dies auch gerochen? Har antwortete: Es ist nicht unbekannt, selbst den Ungelehrten, wie Thor für die Reise, die nun erzählte wurde, Ersatz nahm. Er weilte nicht lange daheim, sondern griff so hastig zu dieser Fahrt, daß er weder Wagen noch Böcke noch Reisegesellschaft mitnahm. Er ging aus über Midgard als ein junger Gesell, und kam eines Abends zu einem Riesen, der Ymir hieß. Da blieb Thor und nahm Herberge. Aber als es tagte, stand Ymir auf und machte sich fertig, auf die See zu rudern zum Fischfang. Thor stand auch auf und war gleich bereit und bat, daß Ymir ihn mit sich auf die See rudern ließe. Ymir sagte, er könne nur wenig Hilfe von ihm haben, da er so klein und jung sei, "und es wird dich frieren, wenn ich so weit hinausfahre und so lange außen bleibe wie ich gewohnt bin." Aber Thor sagte: er dürfe nur immer recht weit hinausfahren, da es noch ungewiß sei, wer von ihnen beiden zuerst auf die Rückkehr dringen werde; und Thor zürnte dem Riesen so, daß wenig fehlte, er hätte ihn seinen Hammer fühlen lassen. Doch unterließ er es, weil er seine Kraft anderwärts zu versuchen gedachte. Er fragte Ymir, was sie zum Köder nehmen wollten, und Ymir sagte, er solle sich selber einen Köder verschaffen. Da ging Thor dahin, wo er eine Herde Ochsen sah, die Ymir gehörte, und nahm den größten Ochsen, der Himinbriotr (Himmelsbrecher) hieß, riß ihm das Haupt ab und nahm das mit an die See. Ymir hatte das Boot unterdessen ins Wasser geflößt. Thor ging an Bord, setzte sich hinten ins Schiff, nahm zwei Ruder und ruderte so, daß Ymir gedachte, von seinem Rudern habe er gute Fahrt. Ymir ruderte vorn, so daß sie schnell fuhren. Da sagte Ymir, sie wären nun an die Stelle gekommen, wo er gewohnt sei zu halten und Fische zu fangen. Aber Thor sagte, er wolle noch viel weiter rudern: sie fuhren also noch lustig weiter. Da sagte Ymir, sie wären nun so weit hinausgekommen, daß es gefährlich wäre, in größerer Ferne zu halten wegen der Midgardschlange. Aber Thor sagte, er werde noch eine Weile rudern und so tat er, womit Ymir übel zufrieden war. Endlich zog Thor die Ruder ein und rüstete eine sehr starke Angelschnur zu, und der Hanken daran war nicht kleiner oder schwächer. Thor steckte den Ochsenkopf an die Angel, warf sie von Bord und die Angel fuhr zu Grunde. Da mag man nun fürwahr sagen, daß Thor die Midgardschlange nicht minder zum besten hatte, als Utgardloki seiner spottete, da er die Schlange mit seiner Hand heben sollte. Die Midgardschlange schnappte nach dem Ochsenkopf und die Angel haftete dem Wurm im Gaumen. Als die Schlange das merkte, zuckte sie so stark, daß Thor mit beiden Fäusten auf den Schiffsrand geworfen wurde. Da wurde Thor zornig, fuhr in seine Asenstärke und sperrte sich so mächtig, daß er mit beiden Fußen das Schiff durchstieß und sich gegen den Grund des Meeres stemmte: also zog er die Schlange herauf an Bord. Und das mag man sagen, daß niemand einen schrecklichen Anblick gesehen hat, der nicht sah, wie jetzt Thor die Augen wider die Schlange schärfte und die Schlange von unten ihm entgegen stierte und Gift blies. Da wird gesagt, daß der Riese Ymir die Farbe wechselte und vor Schrecken erbleichte, als er die Schlange sah und wie die See im Boot aus- und einströmte. Aber in dem Augenblick, da Thor den Hammer ergriff und in der Luft schwang, stürzte der Riese hinzu mit seinem Messer und zerschnitt Thors Angelschnur, und die Schlange versank in die See, und Thor warf den Hammer nach ihr, und die Leute sagen, er habe ihr im Meeresgrund das Haupt abgeschlagen; doch mich dünkt, die Wahrheit ist, daß die Midgardschlange noch lebt und in der See liegt. Aber Thor schwang die Faust und traf den Riesen so ans Ohr, daß er über Bord stürzte und seine Fußsohlen sehen ließ. Da watete Thor ans Land.

Die Snorri Edda in der Übersetzung von Karl Simrock.
Asatru Ring Midgard - www.asatruringfrankfurt.de - Aufgeklärtes Asatru

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