Prosa-Edda - Gylfaginning Gylfis Täuschung - 34-42
Gylfaginning Gylfis Täuschung - 34-42
34. Loki hatte noch andere Kinder. Angurboda hieß ein Riesenweib in Jötunheim:
mit der zeugte Loki drei Kinder: das erste war der Fenriswolf, das andere
Jörmungand, die Midgardschlange, das dritte war Hel. Als aber die Götter
erfuhren, daß diese drei Geschwister in Jötunheim erzogen würden, und durch
Weissagung erkannten, daß ihnen von diesen Geschwistern Verrat und großes Unheil
bevorstehe, indem sie Böses von Mutter-, aber noch schlimmeres von Vaterswegen
von ihnen erwarten zu müssen glaubten, schickte Allvater die Götter, daß sie
diese Kinder nähmen und zu ihm brächten. Als sie aber zu ihm kamen, warf er die
Schlange in die tiefe See, welche alle Länder umgibt, wo die Schlange zu solcher
Größe erwuchs, daß sie mitten im Meer um alle Länder liegt und sich in den
Schwanz beißt. Die Hel aber warf er hinab nach Niflheim und gab ihr Gewalt über
neun Welten, daß sie denen Wohnungen anwiese, die zu ihr gesendet würden:
solchen nämlich, die vor Alter oder an Krankheiten starben. Sie hat da eine
große Wohnstätte; das Gehege umher ist außerordentlich hoch und mit mächtigen
Gittern verwahrt. Ihr Saal heißt Elend, Hunger ihre Schüssel, Gier ihr Messer,
Träg ihr Knecht, Langsam ihre Magd, Einsturz ihre Schwelle, ihr Bett Kümmernis
und ihr Vorhang dräuendes Unheil. Sie ist halb schwarz, halb menschenfarbig,
also kenntlich genug durch grimmiges, furchtbares Aussehen. Den Wolf erzogen die
Götter bei sich und Tyr allein hatte den Mut, zu ihm zu gehen und ihm zu Essen
zu geben. Und als die Götter sahen, wie sehr er jeden Tag wuchs, und alle
Vorhersagen meldeten, daß er zu ihrem Verderben bestimmt sei, da faßten die Asen
den Beschluß, eine sehr starke Fessel zu machen, welche sie Läding hießen. Die
brachten sie dem Wolf und baten ihn, seine Kraft an der Kette zu versuchen. Der
Wolf hielt das Band nicht für überstark und ließ sie damit machen, was sie
wollten. Aber das erstemal, daß der Wolf sich streckte, brach das Band und er
war frei von Läding. Darauf machten die Asen eine andere noch halbmal stärkere
Fessel, die sie Droma nannten. Sie baten den Wolf, auch diese Kette zu
versuchen, und sagten, er wurde seiner Kraft wegen sehr berühmt werden, wenn ein
so starkes Geschmeide ihn nicht halten könnte. Der Wolf bedachte, daß dieses
Band viel stärker sei, daß aber auch seine Kraft gewachsen sei, seit er das Band
Läding gebrochen hatte; zugleich erwog er, daß er sich entschließen müsse,
einige Gefahr zu bestehen, wenn er berühmt werden wolle. Er ließ sich also das
Band anlegen. Als die Asen damit fertig waren, schüttelte sich der Wolf und
reckte sich und schlug das Band an den Boden, so daß die Stücke weit davon
flogen. So brach er sich los von Droma. Es wurde danach sprichwörtlich, sich aus
Läding zu lösen, oder aus Droma zu befreien, wenn von einer schwierigen Sache
die Rede ist. Danach fürchteten die Asen, daß sie den Wolf nicht wurden binden
können. Da schickte Allvater den Jüngling Skirnir, der Freys Diener war, zu
einigen Zwergen in Schwarzalfenheim, und ließ das Band Gleipnir verfertigen.
Dieses war aus sechserlei Dingen gemacht: aus dem Schall des Katzentritts, dem
Bart der Weiber, den Wurzeln der Berge, den Sehnen der Bären, der Stimme der
Fische und dem Speichel der Vögel. Hast du auch diese Geschichte nie gehört, so
magst du doch bald finden, daß sie wahr ist und wir dir nicht lügen, wenn da du
wohl bemerkt hast, daß die Frauen keinen Bart, die Berge keine Wurzeln haben und
der Katzentritt keinen Schall gibt, so magst du mir wohl glauben, daß das übrige
ebenso wahr ist, was ich dir gesagt habe, wenn du auch von einigen dieser Dinge
keine Erfahrung hast. Da sprach Gangleri: An den Dingen, die du zum Beispiel
anführst, kann ich allerdings die Wahrheit erkennen; aber wie war das Band
beschaffen? Har antwortete: Das kann ich dir wohl sagen: das Band war schlicht
und weich wie ein Seidenband und so stark und fest, wie du sogleich hören
sollst. Als das Band den Asen gebracht wurde, dankten sie dem Boten für das wohl
verrichtete Geschäft und fuhren dann auf die Insel Lyngwi im See Amswartnir,
riefen den Wolf herbei, zeigten ihm das Seidenband und baten ihn, es zu
zerreißen. Sie sagten, es wäre wohl etwas stärker, als es nach seiner Dicke das
Aussehen habe. Sie gaben es einer dem anderen und versuchten ihre Stärke daran,
allein es riß nicht. Doch sagten sie, der Wolf werde es wohl zerreißen mögen.
Der Wolf antwortete: Um dieses Band dünkt es mich so, als wenn ich wenig Ehre
damit einlegen möchte, wenn ich auch eine so starke Fessel entzweireiße; falls
es aber mit List und Betrug gemacht ist, obgleich es so schwach scheint, so
kommt es nicht an meine Füße. Da sagten die Asen, er möge leicht ein dünnes
Seidenband zerreißen, da er zuvor die schweren Eisenfesseln zerbrochen habe.
Wenn du aber dieses Band nicht zerreißen kannst, so haben die Götter sich nicht
vor dir zu fürchten und wir werden dich dann lösen. Der Wolf antwortete: Wenn
ihr mich so fest bindet, daß ich mich selbst nicht lösen kann, so spottet ihr
meiner, und es wird mir spät werden, Hilfe von euch zu erlangen: darum bin ich
nicht gesonnen, mir dieses Band anlegen zu lassen. Ehe ihr mich aber der
Feigheit zeiht, so lege einer von euch seine Hand in meinen Mund zum Unterpfand,
daß es ohne Fälsch hergeht. Da sah ein Ase den andern an, die Gefahr däuchte sie
doppelt groß und keiner wollte seine Hand herleihen, bis Tyr zuletzt seine
Rechte darbot und sie dem Wolfe in den Mund legte. Und da der Wolf sich reckte,
da erhärtete das Band, und je mehr er sich anstrengte, desto stärker ward es. Da
lachten alle außer Tyr, denn er verlor seine Hand. Als die Asen sahen, daß der
Wolf völlig gebunden sei, nahmen sie den Strick am Ende der Kette, der Gelgia
hieß, und zogen ihn durch einen großen Felsen, Giöll genannt, und festigten den
Felsen tief im Grund der Erde. Auch nahmen sie noch ein anderes Felsenstück,
Thwiti genannt, das sie noch tiefer in die Erde versenkten und das ihnen als
Widerhalt diente. Der Wolf riß den Rachen furchtbar auf, schnappte nach ihnen
und wollte sie beißen; aber sie steckten ihm ein Schwert in den Gaumen, daß das
Heft wider den Unterkiefer, und die Spitze gegen den Oberkiefer stand: damit ist
ihm das Maul gesperrt. Er heult entsetzlich, und Geifer rinnt aus seinem Maul
und wird zu dem Fluß, den man Wan nennt. Also liegt er bis zur Götterdämmerung.
Da sprach Gangleri: Wahrlich, üble Kinder zeugte Loki, und dieses ganze
Geschlecht ist furchtbar. Aber warum töteten die Asen den Wolf nicht, da sie
doch Übles von ihm erwarteten? Har antwortete: die Asen halten ihre Heiligtümer
und Freistätten so sehr in Ehren, daß sie mit dem Blut des Wolfs sie nicht
beflecken wollten, obgleich Weissagungen verkündeten, daß er Odins Mörder werden
solle.
35. Da fragte Gangleri: Welches sind die Asinnen? Har antwortete: Frigg ist die
vornehmste: Ihr gehört der Palast, der Fensal heißt, und überaus schön ist. Eine
andere heißt Saga, die Söckwabeck bewohnt, das auch eine große Halle ist. Die
dritte ist Eir, die beste der Ärztinnen. Die vierte Gefion: sie ist unvermählt
und ihr gehören alle, die unvermählt sterben. Fulla, die fünfte, ist auch
Jungfrau, und trägt loses Haar und ein Goldband ums Haupt. Sie trägt Friggs
Schmuckkästchen, wartet deren Fußbekleidung und nimmt Teil an ihrem heimlichen
Rat. Freyja ist die vornehmste nach Frigg; sie ist einem Manne vermählt, der
Odhr heißt. Deren Tochter heißt Hnoss: die ist so schön, daß nach ihrem Namen
alles (hnossir) genannt wird, was schön und kostbar ist. Odhr zog fort auf ferne
Wege, und Freyja weint ihm nach und ihre Zähren sind rotes Gold. Freyja hat
viele Namen: die Ursache ist, daß sie sich oft andere Namen gab, als sie Odhr zu
suchen zu unbekannten Völkern fuhr. Sie heißt Mardöll, Hörn, Gefn und Syr.
Freyja besitzt den Halsschmuck, Brisingamen genannt. Sie heißt auch Wanadis
(Wanengöttin). Die siebente heißt Siöfn; sie sucht die Gemüter der Menschen, der
Männer wie der Frauen, zur Zärtlichkeit zu wenden, und nach ihrem Namen ist die
Liebe Siafni genannt. Die achte, Lofn, ist den Anrufenden so mild und gütig, daß
sie von Allvater oder Frigg Erlaubnis hat, Männer und Frauen zu verbinden, was
auch sonst für Hindernis oder Schwierigkeit entgegenstehe. Daher ist nach ihrem
Namen der Urlaub (lof) genannt, so wie alles was Menschen loben und preisen. Die
neunte ist Wara; sie hört die Eide und Verträge, welche Männer und Frauen
zusammen schließen und straft diejenigen, welche sie brechen. Wara ist weise und
erforscht alles, so daß ihr nichts verborgen bleibt; daher kommt die Redensart,
daß man eines Dinges gewahr werde, wenn man es in Erfahrung bringt. Die zehnte
ist Syn, welche die Türen der Halle bewahrt und denen verschließt, welche nicht
eingehen sollen; ihr ist auch der Schutz derer befohlen, die bei Gericht eine
Sache in Abrede stellen, daher die Redensart: Abwehr (Syn) ist vorgeschoben,
wenn man die Schuld leugnet. Die elfte ist Hlin, die solchen zum Schutz bestellt
ist, welche Frigg vor einer Gefahr behüten will. Daher das Sprichwort: Wer sich
in Nöten retten will, lehnt sich an (hieinir). Die zwölfte ist Snotra; sie ist
weise und feinsinnig: nach ihr heißen alle snotr, sowohl Männer als Frauen, die
klug und feinsinnig sind. Die dreizehnte ist Gna, welche Frigg in ihren
Geschäften nach allen Weltteilen schickt. Sie hat ein Pferd, das durch Luft und
Flut rennt und Hofhwarfnir heißt. Einst geschah es, daß sie von etlichen Wanen
gesehen ward, als sie durch die Luft ritt. Da sprach einer:
Was fliegt da, was fährt da,
Was lenkt durch die Luft?
Sie antwortete:
Ich fliege nicht, ich fahre nicht,
Ich lenke durch die Luft
Auf Horhwarfnir, den Hamskerpir
Zeugte mit Gardrowa.
Nach Gnas Namen gebraucht man den Ausdruck gnäfa von allem Hochfahrenden. Auch
Sol und Bil zählen zu den Asinnen. Ihres Ursprungs ist zuvor gedacht.
36. Noch andere sind, die in Walhall dienen, das Trinken bringen, das Tischzeug
und die Älschalen verwahren sollen. In Grimnismal wird ihrer so gedacht:
Hrist und Mist sollen das Horn mir reichen;
Skeggiöld und Skögul,
Hlöck (Hianka) und Herflötur, Hild und Thrud,
Göll und Geirahöd,
Randgrid und Radgrid und Reginleif
Schenken den Einherjern Ael.
Diese heißen Walküren. Odin sendet sie zu jedem Kampf. Sie wählen die Fallenden
und walten des Sieges. Gudr und Rota und die jüngste der Nomen, welche Skuld
heißt, reiten beständig, den Wal zu kiesen und des Kampfes zu walten. Auch Jörd,
die Mutter Thors, und Rind, Walis Mutter, zählen zu den Asinnen.
37. Gymir hieß ein Mann, und seine Frau Örboda; sie war Bergriesengeschlechtes.
Deren Tochter ist Gerd, die schönste aller Frauen. Eines Tages war Freyr auf
Hlidskialf gegangen und sah über alle Welten. Als er nach Norden blickte, sah er
in einem Gehege ein großes und schönes Haus. Zu diesem Hause ging ein Mädchen,
und als sie die Hände erhob, um die Ture zu öffnen, da leuchteten von ihren
Händen Luft und Wasser, und alle Welten strahlten von ihr wieder. Und so rächte
sich seine Vermessenheit an ihm, sich an diese heilige Stätte zu setzen, daß er
harmvoll hinwegging. Und als er heim kam, sprach er nicht, auch mochte er weder
schlafen noch trinken und niemand wagte es, das Wort an ihn zu richten. Da ließ
Niörd den Skirnir, Freyrs Diener, zu sich rufen und bat ihn, zu Freyr zu gehen,
mit ihm zu reden und zu fragen, warum er so zornig sei, daß er mit niemand reden
wolle. Skirnir sagte, er wolle gehen, aber ungern, denn er versehe sich übler
Antwort von ihm. Und als er zu Freyr kam, fragte er, warum Freyr so finster sei
und mit niemand rede. Da antwortete Freyr und sagte, er habe ein schönes Weib
gesehen und um ihretwillen sei er so harmvoll, daß er nicht länger leben möge,
wenn er sie nicht haben solle: "Und nun sollst du fahren und für mich um sie
bitten, und sie mit dir heimführen, ob ihr Vater wolle oder nicht, und will ich
dir das wohl lohnen." Da antwortete Skirnir und sagte, er wolle die Botschaft
werben, wenn ihm Freyr sein Schwert gebe. Das war ein so gutes Schwert, daß es
von selbst focht. Und Freyr ließ es ihm daran nicht mangeln und gab ihm das
Schwert. Da fuhr Skirnir und warb um das Mädchen für ihn und erhielt die
Verheißung, nach neun (drei) Nächten wolle sie an den Ort kommen, der Barrey
heiße, und mit Freyr Hochzeit halten. Und als Skirnir dem Freyr sagte, was er
ausgerichtet habe, da sang er so:
Lang ist eine Nacht, länger sind zweie,
Wie mag ich dreie dauern?
Oft schien ein Monat mich minder lang
Als eine halbe Nacht des Harrens.
Das ist die Ursache, warum Freyr kein Schwert hatte, als er mit Beli stritt und
ihn mit einem Hirschhorn erschlug. Da sprach Gangleri: Es ist sehr zu
verwundern, daß ein solcher Häuptling, wie Freyr ist, sein Schwert hingab, ohne
ein gleich gutes zu behalten. Ein erschrecklicher Schade war ihm das, als er mit
jenem Beli kämpfte, und ich glaube gewiß, daß ihn da seiner Gabe gereute. Da
antwortete Har: Es lag wenig daran, als er dem Beli begegnete, denn Freyr hätte
ihn mit der Hand to ten können; aber es kann geschehen, daß es den Freyr übler
dünkt, sein Schwert zu missen, wenn Muspels Söhne zu streiten kommen.
38. Da sprach Gangleri: Du sagtest, daß alle die Männer, die im Kampf gefallen
sind von Anbeginn der Welt, zu Odin nach Walhall gekommen seien. Was hat er
ihnen zum Unterhalt zu geben? Denn mich dünkt, das muß eine gewaltige Menge
sein. Da antwortete Har: Es ist wahr, was du sagst: eine gewaltige Menge ist da,
und noch viel mehr müssen ihrer werden; aber doch wird es scheinen, ihrer seien
viel zu wenig, wenn der Wolf kommt. Und niemals ist die Volksmenge in Walhall so
groß, daß ihr das Fleisch des Ebers nicht genügen möchte, der Sährimnir hieß.
Jeglichen Tag wird er gesotten und ist am Abend wieder heil. Doch dünkt mich
wahrscheinlich, daß dir wenige auf die Frage, die du jetzt gefragt hast, richtig
Bescheid sagen werden. Andhrimnir heißt der Koch und der Kessel Eldhrimnir, wie
hier gesagt ist:
Andhrimnir läßt in Eldhrimnir
Sährimnir sieden,
Das beste Fleisch; doch erfahren wenige,
Wieviel der Einherjer essen.
Da fragte Gangleri: Genießt Odin von derselben Speise wie die Einherjer? Har antwortete: Die Speise, die auf seinem Tische steht, gibt er seinen beiden Wölfen, welche Geri und Freki heißen, und keiner Kost bedarf er; Wein ist ihm Trank und Speise, wie es heißt:
Geri und Freki füttert der krieggewohnte
Herrliche Heervater,
Da nur von Wein der waffenhehre
Odin ewig lebt.
Zwei Raben sitzen auf seinen Schultern und sagen ihm ins Ohr alle Dinge, die sie hören und sehen; sie heißen Hugin und Munin. Er sendet sie morgens aus, alle Welten zu umfliegen, und mittags kehren sie zurück und so wird er mancher Dinge gewahr. Die Menschen nennen ihn darum Rabengott. Davon wird gesagt:
Hugin und Munin müssen jeden Tag
Über die Erde fliegen.
Ich fürchte, daß Hugin nicht nach Hause kehrt;
Doch sorg ich mehr um Munin.
39. Da fragte Gangleri: Was haben die Einherjer zu trinken, das ihnen so genügen
mag als ihre Speise? Oder wird da Wasser getrunken?
Da antwortete Har: Wunderlich fragst du nun, als ob Allvater Könige, Jarle und
andere herrliche Männer zu sich entbieten wurde und gäbe ihnen Wasser zu
trinken. Ich weiß gewiß, daß manche nach Walhall kommen, die meinen sollten,
einen Trunk Wassers teuer erkauft zu haben, wenn ihnen da nichts Besseres
geboten wurde, nachdem sie Wunden und tödliche Schmerzen erduldet haben. Aber
viel anderes kann ich dir davon berichten. Die Ziege, die Heidrun heißt, steht
über Walhall und weidet an den Zweigen des vielberühmten Baumes, der Lärad
genannt wird, und von ihrem Euter fließt so viel Met; daß sie täglich ein Gefäß
füllt, das so groß ist, daß alle Einherjer davon vollauf zu trinken haben. Da
sprach Gangleri: Das ist eine gewaltig treffliche Ziege und ein ausbündig guter
Baum muß das sein, an dem sie weidet. Da versetzte Har: Noch merkwürdiger jedoch
ist der Hirsch Eikthyrnir, der in Walhall steht und an den Zweigen desselben
Baumes nagt; und von seinem Gehörn fallen so viel Tropfen herab, daß sie nach
Hwergelmir fließen, und daraus folgende Ströme entspringen: Sid, Wid, Sekin,
Ekin, Swöl, Gunnthro, Fiörm, Fimbulthul, Gipul, Göpul, Gömul, Geirwimul; diese
umfließen der Asen Gebiet. Aber noch diese werden genannt: Thyn, Win, Thöll,
Böll, Grad, Gunnthrain, Nyt, Naut, Nönn, Hrönn, Wina, Wegswin, Thiodnuma.
40. Da sprach Gangleri: Dies sind wunderliche Dinge, die du mir da sagst. Ein
furchtbar großes Haus muß Walhall sein und ein großes Gedränge mag da oft an den
Turen entstehen. Da versetzte Har: Warum fragst du nicht, wie viel Türen an
Walhall seien und von welcher Größe? Wenn du das sagen hörst, wirst du gestehen,
daß es wunderlich wäre, wenn nicht ein jeder aus und eingehen könnte wie er
wollte. Auch das mag mit Wahrheit gesagt werden, daß es nicht schwerer ist,
Platz darin zu finden als hineinzukommen. Hier magst zu hören, wie es in
Grimnismal heißt:
Fünfhundert Türen und viermal zehn
Weiß ich in Walhall.
Achthundert Einherjer gehn aus je einer,
Wenn es dem Wolf zu wehren gilt.
41. Da sprach Gangleri: Eine gewaltige Menge ist in Walhall und ich muß wohl glauben, daß Odin ein gewaltiger Häuptling ist, wenn er so großem Heere gebietet. Aber was ist der Einherjer Kurzweil, wenn sie nicht zechen? Har antwortete: Jeden Morgen, wenn sie angekleidet sind, wappnen sie sich und gehen in den Hof und kämpfen und fällen einander. Das ist ihr Zeitvertreib. Und wenn es Zeit ist zum Mittagsmahl, reiten sie heim gen Walhall und setzen sich an den Trinktisch, wie hier gesagt ist:
Die Einherjer alle in Odins Saal
Streiten Tag für Tag;
Sie kiesen den Wal und reiten vom Kampf heim
Mit Asen Ael zu trinken;
Dann sitzen sie friedlich beisammen.
Aber wahr ist, was du sagtest, Odin ist ein großer Häuptling: dafür gibt es Beweise genug. So heißt es hier mit der Asen eigenen Worten:
Die Esche Yggdrasil ist der Bäume erster,
Skidbladnir der Schiffe,
Odin der Asen, aller Rosse, Sleipnir,
Bifröst der Brücken, der Skalden Bragi,
Habrok der Habichte, der Hunde Garm.
42. Da fragte Gangleri: Wem gehört das Roß Sleipnir? Oder was ist von ihm zu
sagen? Har antwortete: Nicht magst du von Sleipnir Kunde haben, wenn du nicht
weißt, bei welchem Anlaß er erzeugt wurde, und das wird dich wohl der Erzählung
wert dünken.
Es geschah früh bei der ersten Niederlassung der Götter, als sie Midgard
erschaffen und Walhall gebaut hatten, daß ein Baumeister kam und sich erbot,
eine Burg zu bauen in drei Halbjahren, die den Göttern zum Schutz und Schirm
wäre wider Bergriesen und Hrimthursen, wenn sie gleich über Midgard eindrängen.
Aber er bedingte sich das zum Lohn, daß er Freyja haben sollte und dazu Sonne
und Mond. Da traten die Asen zusammen und hielten Rat und gingen den Kauf ein
mit dem Baumeister, daß er haben sollte was er anspräche, wenn er in einem
Winter die Burg fertig brächte; wenn aber am ersten Sommertag noch irgend ein
Ding an der Burg unvollendet wäre, so sollte er des Lohnes entraten; auch dürfte
er von niemanden bei dem Werke Hilfe empfangen. Als sie ihm diese Bedingung
sagten, da verlangte er von ihnen, daß sie ihm erlauben sollten, sich der Hilfe
seines Pferdes Swadilfari zu bedienen, und Loki riet dazu, daß ihm dies zugesagt
wurde. Da griff er am ersten Wintertag dazu, die Burg zu bauen und führte in der
Nacht die Steine mit dem Pferde herbei. Die Asen dünkte es ein großes Wunder,
wie gewaltige Felsen das Pferd herbeizog; und noch halbmal so viel Arbeit
verrichtete das Pferd als der Baumeister. Der Kauf aber war mit vielen Zeugen
und starken Eiden bekräftigt worden, denn ohne solchen Frieden hätten sich die
Jötune bei den Asen nicht sicher geglaubt, wenn Thor heimkäme, der damals nach
Osten gezogen war, Unholde zu schlagen. Als der Winter zu Ende ging, ward der
Bau der Burg sehr beschleunigt, und schon war sie hoch und stark, daß ihr kein
Angriff mehr schaden konnte. Und als noch drei Tage blieben bis zum Sommer, war
es schon bis zum Burgtor gekommen. Da setzten sich die Götter auf ihre
Richterstühle und hielten Rat und einer fragte den andern, wer dazu geraten
hätte, Freyja nach Jötunheim zu vergeben und Luft und Himmel so zu verderben,
daß Sonne und Mond hinweggenommen und den Jötunen gegeben werden sollten. Da
kamen sie alle überein, daß der dazu geraten haben werde, der zu allem Übeln
rate: Loki, Laufeyjas Sohn, und sagten, er solle eines Übeln Todes sein, wenn er
nicht Rat fände, den Baumeister um seinen Lohn zu bringen. Und als sie dem Loki
zusetzten, ward er bange vor ihnen und schwur Eide, er wolle es so einrichten,
daß der Baumeister um seinen Lohn käme, was es ihm auch kosten möchte. Und
denselben Abend, als der Baumeister nach Steinen ausfuhr mit seinem Hengste
Swadilfari, da lief eine Stute aus dem Wald dem Hengst entgegen und wieherte ihm
zu. Und als der Hengst merkte, was Rosses das war, da ward er wild, zerriß die
Stricke und lief der Mähre nach, und die Mähre voran zum Walde und der
Baumeister dem Hengste nach, ihn zu fangen. Und diese Rosse liefen die ganze
Nacht umher, und diese Nacht ward das Werk versäumt und am Tage darauf wurde
dann nicht gearbeitet, wie sonst geschehen war. Und als der Meister sah, daß das
Werk nicht zu Ende kommen möge, da geriet er in Riesenzorn. Die Asen aber, die
nun für gewiß erkannten, daß es ein Bergriese war, der zu ihnen gekommen war,
achteten ihre Eide nicht mehr und riefen zu Thor, und im Augenblick kam er und
hub auch gleich seinen Hammer Miölnir und bezahlte mit ihm den Baulohn, nicht
mit Sonne und Mond; vielmehr verwehrte er ihm das Bauen auch in Jötunheim, denn
mit dem ersten Streich zerschmetterte er ihm den Hirnschädel in kleine Stücke
und sandte ihn hinab gen Niflhel. Loki selbst war als Stute dem Swadilfari
begegnet und einige Zeit nachher gebar er ein Füllen, das war grau und hatte
acht Füße, und dies ist der Pferde bestes bei Göttern und Menschen. So heißt es
in der Wöluspa:
Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,
Hochheilge Götter hielten Rat,
Wer mit Frevel hätte die Luft erfüllt,
Oder dem Riesenvolk Odhurs Braut gegeben.
Da schwanden die Eide, Wort und Schwüre,
Alle festen Verträge jüngst trefflich erdacht.
Das schuf von Zorn bezwungen Thor;
Er säumt selten, wenn er solches vernimmt.
Die Snorri Edda in der Übersetzung von Karl Simrock.
Asatru Ring Midgard - www.asatruringfrankfurt.de - Aufgeklärtes Asatru
Prosaedda - Gylfaginning - Gylfis Visionen 21-33 | [Prosaedda - Gylfaginning - Gylfis Visionen 34-42] | Prosaedda - Gylfaginning - Gylfis Visionen 43-48 |